Die Skoliose Betroffene Anika Spira forscht an einem wärmeleitfähigen Skoliose Korsett 

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Autor/in: Anika

Inhalt

Ich heiße Anika Spira, bin 19 Jahre alt und wohne in Bad Sobernheim. Die Skoliose wurde bei mir mit 14 Jahren im Rahmen einer Routineuntersuchung beim Orthopäden festgestellt. Bei dem Termin stand schon fest, dass ich von nun an 23 Stunden am Tag ein Korsett tragen muss, um ein Voranschreiten der Krümmung zu verhindern. Die Eingewöhnungsphase war bei mir Ende des Sommers und schon da machte ich die unangenehme Erfahrung mit der Hitze, es wurde so unerträglich heiß unter dem Korsett, dass ich die Tragezeit von 23 Stunden am Tag nicht einhalten konnte.

 

Tipps wie Korsett Hemden regelmäßig wechseln oder Ventilator aufstellen, welche ich in Foren las, waren für mich keine wirkliche Lösung des Problems, da es nur kurzzeitig zur Erleichterung führt und ich meine Tragezeit trotzdem nicht einhalten konnte. Aus diesem Grund ließ mich das Thema Hitze und Korsett nie so ganz los.

 

Die Eigenschaften eines Korsetts

Den Girls Day im Jahr 2019 verbrachte ich bei meinem Orthopädietechniker, denn die Herstellung des Korsetts interessierte mich sehr. Ich war fasziniert, dass aus so riesigen Kunststoffplatten, welche mir mein Korsettbauer zeigte, ein individuell geformtes Korsett entsteht. Dabei müssen diese Kunststoffplatten viele Eigenschaften besitzen, sodass aus diesen Platten überhaupt ein Korsett hergestellt werden kann. Elastisch aber gleichzeitig auch formstabil, muss der Kunststoff sein, denn zum einen sollen die Korsettträger gut in das Korsett hineinschlüpfen können, aber zum anderen soll das Korsett natürlich auch den nötigen Druck und Halt geben, damit sich die Wirbelsäule aufrichten kann.

 

Bei der Verarbeitung ist es wichtig, dass es nicht zum Verschleiß der Werkzeuge kommt und auch der Kunststoff muss für die einzelnen Verarbeitungsschritte hohen Temperaturen standhalten können damit es zum Korsett geformt werden kann. Damit der Orthopädietechniker die Korsetts mit kunterbunten Mustern überziehen kann, muss die Grundfarbe der Kunststoffplatte weiß oder transparent aufweisen und da es sich um ein Medizinprodukt handelt, dürfen selbstverständlich keine giftigen Stoffe im Kunststoff enthalten sein.

 

Nach meinen Tag beim Orthopädietechniker war ich sehr beeindruckt von dem Kunststoff und der doch noch ziemlich aufwendiges Herstellung. Doch ich fragte mich warum man unter dem Korsett so sehr schwitzt, es gibt doch wärmeleitfähige Stoffe. „Ist es möglich, ein Korsett herzustellen, das in den Sommermonaten dem Körper die Wärmeabgabe erleichtert?“

 

Warum man in einem Korsett schwitzt

So begann ich mich mit meiner Fragestellung näher zu beschäftigen und startete die ersten Recherchen. Bei den Recherchen fand ich schnell heraus, dass die heute verwendeten Kunststoffplatten sehr schlechte Wärmeleiter sind. Zur Verwendung kommen hauptsächlich PE-Platten (Polyethylen) sowie PP-Platten (Polypropylen). Des Weiteren gibt es noch EVA-Platten (Ethylen-Vinylacetat-Copolymere). Diese Kunststoffe sind mit Wärmeleitwerten von ca. 0,1W/mK schlechte Wärmeleiter.

 

So war der Grund für das Schwitzen glasklar, es liegt daran dass die Hitze unter dem Korsett sich immer mehr anstaut, aber nicht durch die Platte an die Umgebung dringen kann. Ich recherchierte nach wärmeleitfähigen Füllstoffen in Kunststoffen und stoß schnell auf den Füllstoff Bornitrid, welcher mich aufgrund der Beschreibung eines weißen pulvrigen Füllstoffes direkt ansprach. Na also das Problem erkannt und den Füllstoff gefunden, so einfach war das dann auch wieder nicht, denn ich wusste ja gar nicht, ob das auch wirklich alles funktioniert und auch wie viel Bornitrid nötig wird, war auch noch unklar, denn dies ist  wiederum von der Wärmeabgabe des Menschens abhängig.

 

Ich suchte nach einem „kühleren“ Material für die Korsett Herstellung

Also stellte sich gleich die nächste Frage: Wie viel Wärme gibt der Mensch ab und wie ist der Wärmestrom des Menschens? So begann die nächste Recherche Reihe, die sich rund um den Menschen beschäftigte. Nach drei Monaten langer Recherchearbeiten am Wochenende und Abends nach der Schule, hatte ich schon einiges vor allem zum Menschen und deren Wärmeabgabe herausgefunden. Ich betrachtete nun den Menschen als ein wärmetechnisches System und fand mithilfe von mathematischen Rechnungen heraus, wie hoch die Wärme Abgabe des Menschen ist: Durch Bornitrid kann die Wärmeleitfähigkeit des Korsetts um (1/0,1 = 10) den Faktor 10 gesteigert werden. Die Haut hat eine Wärmeleitfähigkeit von 0,4 W/mK und einem entsprechenden Wärmeleitwert von 100W/K. Mit einem Wärmeleitwert des Korsetts von 100W/K kann die Körperwärme gut an die Umgebung abgeführt werden.

 

Folglich meldete ich mein Projekt bei dem Schülerwettbewerb Jugend forscht an. Der Wettbewerb bedeutete für mich nicht nur zusätzliche Motivation, sondern fungierte auch als ein Türöffner, denn Jugend forscht ermöglichte mir mit meinen gerade einmal 16 Jahren den Kontakt zu bekannten und großen Firmen zu erhalten, die mich bei meinem Projekt unterstützten. So war die Firma 3M in Kempten ein guter Ansprechpartner für alle Fragen rund um den wärmeleitfähigen Füllstoff Bornitrid und die Firma Simona in Kirn stellte mir nach meinen Angaben kleine Testplatten mit unterschiedlichen Anteilen an Bornitrid her. Die Firma Sanomed stellte dann später für mich den ersten Prototypen her. Ohne diese Unterstützung wäre mein Projekt gar nicht möglich gewesen, daher bin sehr dankbar für die Unterstützung. Da das Interesse seitens der Firmen sehr groß war, entschied ich mich meine Idee des wärmeleitfähigen Korsetts patentieren zu lassen.

 

Experiment: Ist mein gefundener Stoff wirklich kühler?

Um die kleinen Testplatten mit Bornitrid zu der aktuell verwendeten nicht wärmeleitfähigen Platte zu vergleichen, habe ich eine Klimakammer aus Holz gebaut. Die Klimakammer hat zwei Ausschnitte, um die Kunststofftestplatten aufnehmen zu können. Um Messfehler möglichst klein zu halten, sind die Testplatten symmetrisch zur Wärmequelle und auch symmetrisch in der Klimakammer angeordnet. Als Wärmequelle habe ich eine Glühbirne eingebaut.

 

 

Nun folgte die Durchführung des Experimentes, die Glühbirne schaltete ich ein und miss mit einem Thermometer kontinuierlich die Temperatur der Platten. Schließlich machte ich noch mit einer Wärmebildkamera Bilder von den Platten. Das Ergebnis war eindeutig: Die Platte mit Bornitrid gibt die Wärme an die Umgebung ab und ist somit kühler, was man mit der Hand sogar fühlen konnte. Das Ergebnis der Wärmebilder zeigt dies ganz anschaulich.

Meine Teilnahme bei Jugend forscht 2020

Im Februar 2020 war es dann soweit, der Regionalwettbewerb Jugend forscht startete. Ich entschied mich bewusst an diesem Tag mein Korsett offen zu tragen, denn es ist schließlich meine Erkrankung bzw. mein Korsett, was mich zu diesem Projekt führte. Die Jury konnte ich mit meinem Projekt begeistern, ich erhielt gleich drei Preise. Die Gäste waren von mir und meinem Projekt auch begeistert, auch mein Umgang mit der Krankheit und dem Korsett wurde gelobt. Leider führte dann die Corona Pandemie dazu, dass alle weiteren Wettbewerbsstufen abgesagt wurden. Erst war ich natürlich enttäuscht, doch aufgeben war keine Option.

Das Jahr 2021 nutze ich für weitere Recherchen und erste Wirtschaftlichkeitsanalysen, so wurden die mechanischen Eigenschaften, wie die Elastizität angepasst. Des Weiteren beschäftigte ich mich mit Optimierungen, um einen Kompromiss zwischen Wirtschaftlichkeit und Wärmeleitfähigkeit zu finden, diesbezüglich wurde zum Beispiel die Plattenstärke minimal reduziert. Durch diese kleine Maßnahme wird weniger von dem teuren Füllstoff Bornitrid benötigt wird, was viel am Preis ausmacht. Die Firma veranlasste folglich eine Durchführung eines genauen Tests, um die Wärmeleitfähigkeit nachzuweisen und dieser belegte meine Erkenntnisse aus der Klimakammer. Anschließend beschäftigte ich mich auch mit der Herstellung der Kunststoffplatte. Denn schließlich darf bei der Herstellung der wärmeleitfähigen Platte die kleinen Bornitrid Partikel nicht zerstört werde, sonst würde die Platte die Wärme nicht an die Umgebung abgeben können.

 

Der erste Korsett Prototyp

Der erste Versuch einen kleinen Korsett Prototypen herzustellen scheiterte, denn der Füllstoff Bornitrid macht den Kunststoff spröde und dies führte leider zum Bruch beim Formen zum Korsett. Aber Rückschläge gehören nun einmal dazu. In den nächsten Monaten wurde also nochmal geforscht und das Material optimiert, sodass beim zweiten Anlauf alles klappte. Die Wärmeleitfähige Kunststoffplatte ist fertig entwickelt, ich kann durch meine Forschung einen wärmeleitfähigen Kunststoff für die Orthopädietechnik anbieten. Mit großen Schritten komme ich meinem Ziel näher, den vielen Korsettträgern zu helfen, das ist einfach großartig. Nachdem ich nun den Prototyp mit Stolz vor mir stehen habe, war mir nun klar, dass ich nochmal bei Jugend forscht teilnehme. Und so startete ich im Jahr 2022 wieder mit meinem nun weiterentwickelten Projekt bei Jugend forscht.

 

Jugend forscht 2022

 

Standbild bei Schülerwettbewerb Jugend forscht: v. l. n. r. Klimakammer, Bornitrid Agglomerate, Korsett Prototyp, Testplatten[/caption]

Ich erreichte mit meinem Projekt beim Landeswettbewerb den 2. Platz und erhielt zwei Sonderpreise. Ein besonderes Highlight war für mich der Sonderpreis für ein Forschungspraktikum im Max- Planck Institut für Polymerforschung in Mainz, denn dies passte nicht nur hervorragend zu meinem Projekt sondern auch zu meinem Interesse an Wissenschaft. Dort konnte ich in den Osterferien 2022 zwei spannende und interessante Woche im Labor erleben.

 

So geht es weiter

Nach Jugend forscht ging es für mich zum Ideenwettbewerb Rheinland Pfalz, auch hier konnte ich die Jury begeistern, so erreichte ich den 1. Regionalpreis, den 1. Nachwuchssonderpreis und den Medizinsonderpreis. Die Wettbewerbe halfen mir auch mein Projekt bekannter zu machen, so wurde ich für Beiträge in der Zeitung, im Radio aber sogar auch für einen Fernsehbeitrag interviewt.

Aktuell forsche ich noch nach einem alternativen Materialmix, welcher preisgünstiger ist als das eher teure Bornitrid. Der nächste Schritt wäre dann auf die große Maschine zu gehen, um dann einen Prototypen herzustellen den auch ich tragen kann. Da sich meine Skoliose verbessert hat und ich mittlerweile ausgewachsen bin, habe ich mein Korsett im Jahr 2021 bereits abgeschult. Dennoch bin ich sehr gerne Testerin des wärmeleitfähigen Korsetts.

 

Resümee

Rückblickend auf die vergangen drei Jahre lange Forschungsreise mit meinem Projekt, konnte ich tolle Erfahrungen erleben, viele Kontakte knüpfen und mein Wissen rund um Skoliose, Orthopädietechnik und Kunststoffe erweitern.

 

Ich hoffe sehr, dass ich mit meiner Geschichte besonders junge Menschen motivieren sowie ermutigen kann, zu tüfteln, forschen und dann mit einer guten Idee auch ein Projekt zu starten. Denn auch in jungen Jahren kann man viel bewegen und verändern, um somit beispielsweise Menschen zu helfen.

 

Liebe Grüße,

Anika Spira

 

P.S.: Anika war bereits im Skoliose Podcast zu Gast. Hier geht es zu ihrem Interview!

 

Kontakt

Hast du Fragen zu diesem Blog Artikel? 

Hier kannst du Conny von SkolioseHilfe kontaktieren.

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